Gedächtnistraining

Dieser Artikel enthält Inhalte aus dem seit 1990 unter der Leitung von Prof. Dr. W. D. Oswald, Institut für Psychogerontologie, Friedrich – Alexander - Universität Erlangen - Nürnberg, durchgeführten Forschungsprogramm SimA. Entnommen aus dem Buch SimA – basic – Gedächtnistraining und Psychomotorik, Hogrefe – Verlag.

In einer 1991 unter Prof. Oswald durchgeführten Studie absolvierten  375 Seniorinnen und Senioren (alle über 75 Jahre) parallel ein Programm zur Verbesserung der körperlichen Geschicklichkeit (psychomotorisches Training) und ein Gedächtnistraining.

Sie erreichten Verbesserungen in ihrer Gedächtnisleistung, Selbständigkeit sowie in ihrer Gesundheit und hatten deutlich weniger demenzielle Symptome.

Der Trainingseffekt war bei 20 %. Kein Arzneimittel erzielt diese hohen Effekte. 

Der große Trainingserfolg (auch weniger Vergesslichkeit und Konzentrationsschwäche) erklärt sich auch aus der sich positiv ergänzenden Kombination Gedächtnistraining (geistige Nahrung für das Gehirn) und körperlicher Aktivität (verbesserter Hirnstoffwechsel durch Zuführung des Brennstoffes Glukose).
Wichtige „Nahrungsquellen für das Gehirn“ erhalten wir also durch:

tägliche körperliche und geistige Aktivität
 

 

1. Altern

1.1. Biologische Veränderungen und psychosoziale Faktoren
Altern ist ein sehr komplexer Vorgang. Nach Prof. W. D. Oswald wird das Altern von biologischen Veränderungen, von Krankheiten oder von giftigen Umwelteinflüssen ebenso geprägt wie von psychosozialen Veränderungen, z.B. Stress, Einsamkeit oder dem Eintritt in den Ruhestand. Alle diese Faktoren wirken miteinander.

1.2  Verschiedene Funktionen altern unterschiedlich
Im Bereich von Wissen und Erfahrungen können Menschen bis ins hohe Alter hohe Leistungsfähigkeiten erzielen. Während die Geschwindigkeit bei Denkleistungen bereits in wesentlich jüngeren Lebensjahren nachlässt.

In der Altersforschung hat sich ein Modell mit der Unterscheidung von kristallinen und fluiden Hirnleistungen weitgehend etabliert.

Kristalline Hirnleistungen: darunter sind stark übungs- und bildungsabhängige Hirnleistungen zu verstehen, die nicht unter Zeitdruck erbracht werden müssen. Soziales Wissen, Rechenfertigkeit, auswendig Lernen können hier als Beispiele angeführt werden. Aber auch Gedichte auswendig lernen, sich Einzelheiten von Interessantem merken oder altes Wissen erweitern.
Diese Funktionen unterliegen keinem oder erst im höchsten Alter einem Abbau.

Fluide Hirnleistungen: hier ist die Verarbeitungsgeschwindigkeit bei relativ einfachen Aufgaben, wenn gleichzeitig mehrere Dinge schnell erbracht werden müssen (geschwindigkeitsabhängig) von Bedeutung. Durchstreichaufgaben von bestimmten Buchstaben oder Zeichen in einer bestimmten Zeit oder Kurzzeitgedächtnisfunktionen dienen hier als Beispiele.
Nach Prof. Oswald sind diese Leistungen weniger milieu- und bildungsabhängig und überwiegend vererbt.

Kristalline Funktionen lassen sich bis ins hohe Alter erhalten. Sicherlich abhängig vom täglichen Gebrauch.
Fluide, geschwindigkeitsabhängige Leistungen werden mit zunehmendem Alter langsamer. Also eine abnehmende Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit.

Der Abbau fluider Hirnfunktionen wird deshalb parallel zu biologischen Alterungsprozessen als ein wichtiges Merkmal der biologischen Hirnalterung angenommen.


2.  Gedächtnis

2.1  Sensorische Gedächtnisse
Diese stellen unsere Aufmerksamkeit dar. Z.B. beim Sehen, beim Hören oder Fühlen. Sie entscheiden, ob etwas aus unserer Umgebung auch wahrgenommen wird. Also in unserer Bewußtsein eindringen darf oder nicht.
   
2.2  Kurzzeitgedächtnis
Im Kurzzeitgedächtnis (auch Arbeitsgedächtnis genannt) erfassen wir vielerlei Informationen aus unserer Umwelt. Innerhalb eines Zeitfensters von ca. 10 Sekunden entscheidet sich auch, ob wir die soeben erhaltenen Informationen in unser Langzeitgedächtnis übernehmen.

2.3  Langzeitgedächtnis
In diesem Gedächtnis speichern wir alles, was wir uns merken wollen. Dabei gilt es zwei Formen, bei differenzierterer Betrachtung sogar vier Langzeitgedächtnisformen zu unterscheiden.

Semantisches Langzeitgedächtnis: Informationen werden in Form einer Beschreibung in Worten gespeichert. Schul- und allgemeines Wissen sind hier verankert.

Episodisches Langzeitgedächtnis: praktisch als eine Art Tagebucheintrag werden Informationen niedergelegt. Wann und wo wir an diese Informationen gelangten sind dabei wichtige Merkmale. Es enthält chronologisch geordnet, emotional gefärbte Erinnerungen an Ereignisse der persönlichen     Lebensgeschichte.

Prozedurales Langzeitgedächtnis: hier werden die Programme für eintrainierte Bewegungsabläufe (Schreiben, Kuppeln - Schalten, Fahrrad fahren   - Klingeln ...) gespeichert.

Priming – Gedächtnis: Sinneseindrücke wie Gerüche, Farben, Formen etc. werden hier gespeichert. Dies ermöglicht, daß erlebte Situationen in Erinnerung gerufen werden.

Aus neuropsychologischer Sichtweise ergibt sich folgende Verteilung zu bestimmten Hirnarealen.
Das Prozedurale Gedächtnis (Bewegungsabläufe) findet man im Kleinhirn.
Das Semantische Gedächtnis, das Episodische Gedächtnis und das Priming Gedächtnis in der Hirnrinde. Hier ist das Bewusstsein angelegt.
Das episodische (Tagebuch) vorne, das semantische (Wissen) in der Schädelmitte und das Priming – Gedächtnis (Sinneseindrücke) hinten am Gehirn.
 

2.4 Das Limbische System
Das Limbische System ist bei hirnorganischen Leistungen immer beteiligt. Alle Informationen müssen durch dieses, in tieferen Gehirnregionen liegende, Hirnareal hindurch. Hier wird entschieden, ob Informationen überhaupt zu den Regionen der Hirnrinde weitergeleitet und damit bewusst werden.
Es dürfen weder starke Affekte (z.B. Ablenkungen durch Umwelt oder emotionales Ungleichgewicht) noch andere neue Lerninhalte, bevor die alten dauerhaft bearbeitet sind, stören.

Insbesondere in der schulischen Pädagogik wird das Limbische System oft wenig beachtet. So werden lernschwächere Kinder durch eine Fülle, von nicht mehr speicherbaren Lerninhalten, überfordert. Dies wird dann als sogenannte Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörung in den Zeugnissen vermerkt.

Die auftretenden Mißerfolgserlebnisse, die Minderung des Selbstwertgefühles der betroffenen Kinder und einher gehende emotionale Belastungen beeinflussen das Limbische System ungünstig. Folglich ist damit (neuropsychologisch betrachtet) der aktive, erfolgreiche Lernprozess behindert. Es kommt zu neuropsychologisch begründbaren Lernblockaden. Die Kinder wirken „nicht mehr frei im Kopf“.
Die Kritik und Unzufriedenheit von Lehrern und Eltern nimmt zu. Die auch gehirnorganisch begründeten Lernblockaden damit ebenfalls. Dabei benötigen gerade Kinder mit Lernproblemen viel Zuwendung, positive Verstärkung und Unterstützung mittels adäquat dosiertem Lernangebot (Anm. d. Verf.).
 

3. Trainingsarten

3.1. Gedächtnistraining
Wichtig für ein wissenschaftlich fundiertes Gedächtnistraining ist vor allem das Wissen um jene Gedächtnisfunktionen, bei denen die deutlichsten Veränderungen mit dem Alter auftreten. Denn hier muss das Training besonders intensiv einsetzen.
Ein Nachlassen von Gedächtnisleistungen ab dem 50. Lebensjahr um ca. 25 % bis zum 75. Lebensjahr gilt dabei als normal, starke Veränderungen sprechen für demenzielle Prozesse.

Betroffen hiervon sind insbesondere:

  • die sensorischen Speicher (siehe 2.1)
  • die dynamischen Kurzzeitfunktionen (siehe 2.2 und unter Fluide Hirnleistungen)
  • der episodische Langzeitspeicher (siehe 2.3)

Davon werden besonders beeinträchtigt:

  • die Wahrnehmung und Konzentration
  • das Bearbeitungstempo im Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis
  • die Qualität der Bearbeitung, was zu einer unsystematischeren Organisation im Wissensgedächtnis führt
  • das Wiederfinden

Das episodische Gedächtnis und das Langzeitgedächtnis für neue Informationen sind bei Alzheimer – Patienten besonders betroffen. Schon nach kurzer Zeit können diese sich z.B. an den Besuch von heute Nachmittag nicht mehr erinnern oder sind zeitlich und örtlich nicht mehr orientiert.

3.1.1. Effektives Lernen
Sekündlich werden wir mit einer großen Menge von Informationen „überfüttert“.
Der größte Teil davon wird von uns nicht wahrgenommen. Erscheint uns aber etwas interessant, richtet sich unsere Aufmerksamkeit darauf. Wir „suchen“ in unserem Gehirn nach bereits Bekanntem zu diesem „Thema“. Das Neue und das bereits Bekannte wird nun im Kurzzeitgedächtnis präsent.
Trotzdem gehen auch auf dieser „Ebene“ die meisten Informationen wieder verloren, da bereits wiederum andere neue Informationen ankommen und unser Gehirn diese Fülle nicht aufnehmen kann.

3.1.2. Gedächtnistraining im Rahmen der Studie
Zur Erinnerung: die Teilnehmer waren alle mind. 75 Jahre alt, im Durchschnitt aber 80 Jahre alt.
Den Teilnehmern wurde für das Gedächtnistraining eine tägliche Einheit von ca. 15 Minuten empfohlen.
Im Mittelpunkt der Übungen stand das Arbeitstempo, mit dem zwei und mehr Informationen verarbeitet werden können. Weiterhin Übungen für die dynamischen Kurzzeitgedächtnisfunktionen und das Episodische Gedächtnis. Alle Übungen sind dem fluiden Funktionsbereich zuzuordnen.
   
Im Folgenden einige Trainingsbeispiele:

Sich an Details erinnern: zum beüben des dynamischen Kurzzeitgedächtnisses und dem Episodischen Gedächtnis.

  • die Zeitung wie immer lesen
  • nach Beendigung des Lesens alle erinnerbaren Details auf ein Blatt notieren
  • dabei nicht noch einmal nachschauen
  • die Anzahl der erinnerten Details zählen
  • die Anzahl der Details täglich aufschreiben um Verbesserungen zu erfassen

Schrift auf dem Kopf: Ziel – zwei und mehr Dinge gleichzeitig tun und möglichst schnell sein.

  • die Zeitung / Buch auf den Kopf stellen und mind. 5 Zeilen, besser den ganzen Artikel / die ganze Seite möglichst schnell lesen

Zwei oder mehr Buchstaben gleichzeitig suchen: diese werden gleichzeitig einem Zeitungstext markiert.
Hier geht es wieder um Aufmerksamkeit, Konzentration und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit.

  • wichtig ist, dass zwei (oder mehr) Buchstaben immer gleichzeitig gesucht und markiert werden und dies so schnell als möglich
  • jeden Tag sollte man ein bisschen schneller sein
  • es empfiehlt sich, jeden Tag die Buchstabenkombination zu wechseln

Am Abend den Zeitungstext erinnern: ohne dass die Zeitung noch einmal vorher gelesen wird. Was konnte in das Langzeitgedächtnis übernommen werden?

  • alle erinnerten Details notieren, danach mit der Zeitung überprüfen und die Anzahl der erinnerten Details aufzeichnen

Die Farbe – Worte – Übung: es geht darum zwei miteinander „streitende“ Reize, die Worte und die Farben, möglichst rasch und ohne Fehler zugunsten der Farben zu lösen.

Material: Tafel auf der die Namen der Farben aufgeschrieben sind. Allerdings ist der Farbname in einer anderen Farbe gedruckt.

3.2. Kompetenztraining
Hier geht es um die Entwicklung von Alltagskompetenzen. Individuell versieht jeder Mensch seinen Alltag mit anderen Inhalten und Schwerpunkten. Um seine Kompetenz im täglichen Leben zu erhalten oder sogar zu verbessern sollten wir u.a. folgende Überlegungen anstellen.
Wie lassen sich Einkäufe erfolgreich erledigen, geistige und körperliche Veränderungen im Alter bewältigen? Dies innerhalb und außerhalb der Wohnung.
Gibt es technische Hilfen? Gelingt es, die sozialen Fähigkeiten und Kontakte aufrecht zu erhalten?
   
Um Übersicht und Struktur gerade für die alltäglichen Pflichten zu gewährleisten sind regelmäßig geführte „Listen“ wie z.B. Einkäufe, Flüssigkeitszufuhr oder Medikamente ein sehr hilfreicher Förderansatz.

3.3. Psychomotorisches Training
Dabei liegt der Schwerpunkt für  Verbesserungen auf:
 
                    der Körperwahrnehmung
                    der Reaktionsfähigkeit
                    der Beweglichkeit    
                    des Gleichgewichts
                    der Koordination 
 
3.4. Ausdauer- und Krafttraining
Wissenschaftlich unbestritten ist die Tatsache, daß ein Bewegungsmangel den Alternsprozess mit seinen Begleiterscheinungen unterstützt.
Von großer Bedeutung ist der Verlust von Muskelmasse, wobei der Verlust an Muskelfasern nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. So reduziert sich die Muskelmasse im Durchschnitt bis zum 60. Lebensjahr um etwa 20% und bis zum 75. Lebensjahr sogar um 30%.
Auch die maximal erreichbare Herzfrequenz nimmt ständig ab. Die oberste Grenze bei 60-Jährigen ist etwa bei 160 Schlägen / min., während ein Jugendlicher 220 Schläge / min. erreichen kann.

Durch Krafttraining kann man die Leistungsfähigkeit der Muskulatur deutlich verbessern und dies in jedem Alter. Auch die Ausdauerfähigkeit kann man mit regelmäßigem, gezieltem Training im Alter verbessern. Wichtig: Bewegung im aeroben Bereich und täglich mindestens 20 Minuten.

 

4. Zielsetzung

Neben dem Ziel der Gedächtnisverbesserung, der kognitiven Leistung und der Verzögerung demenzieller Prozesse ist der Erhalt der SELBSTÄNDIGKEIT der Erfolg mit den positivsten Auswirkungen für die Lebensqualität.

 

5. Erfolge

In der unter Leitung von Prof. Oswald durchgeführten Studie nahmen 375 Seniorinnen und Senioren mit einem Mindestalter von 75 Jahren, bei einem durchschnittlichen Lebensalter von 80 Jahren teil.
Die Studie wurde 1991 begonnen. Es wurden in verschiedenen Gruppen unterschiedliche Trainingsinhalte durchgeführt. Nach fünf Jahren wurden sehr positive Ergebnisse veröffentlicht.

Die besten Ergebnisse im Hinblick auf erhaltene oder verbesserte Selbständigkeit und Gesundheit sowie niedrige demenzielle Symptomatiken erzielte die Gruppe, die gleichzeitig ein Gedächtnis- und Psychomotoriktraining absolvierte.
Das Gedächtnistraining alleine brachte zwar auch gute Ergebnisse, aber insgesamt geringere.
Die Teilnehmer, die nur am psychomotorischen Training teilnahmen, verschlechterten sich sogar gegenüber einer Kontrollgruppe. Dies war eine Vergleichsgruppe, die gar kein Training erhielt, sondern nur an den Untersuchungen teilnahmen.
Im wichtigsten Alltagsbereich, der SELBSTÄNDIGKEIT,  erzielten nur die Teilnehmer des Kombinationstrainings (Gedächtnis und Psychomotorik) einen deutlichen Leistungszuwachs.

Dies läßt sich über eine optimierte gehirnorganische Versorgung erklären:
Die Psychomotorik verbessert den Hirnstoffwechsel, insbesondere die Glukose als Brennstoff des Gehirns. Das Gedächtnistraining erhöht die Nachfrage nach Glukose. Nur wenn beides zusammenkommt, kann den „hungrigen“ trainierten Gehirnzellen geholfen werden.

 

Weitere Informationen erhalten Sie unter www.sima-akademie.de

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